Sonntag, 13. März 2011

Bedürfnisse von Behinderten haben Grenzen (Quelle: NZZ am Sonntag, 13.03.2011)

Blinde sollten nicht in Exekutiven sitzen, weil sie zu sehr auf Hilfe angewiesen wären

Suzette Sandoz

Niemand darf wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung diskriminiert werden. Die Vorgabe der Bundesverfassung ist scheinbar klar, doch wie ist sie umzusetzen? Die Frage ist umso aktueller, als die Invalidenversicherung die Einbindung behinderter Menschen in die Arbeitswelt bevorzugt, die Bildungsgesetzgebung zum Einschluss behinderter Kinder in Regelklassen tendiert und die Politik das Recht in Anspruch nimmt, bei Wahlen Kandidaten mit gewissen Behinderungen aufzustellen.

Es ist zweifellos angebracht, zwischen Theorie und Praxis zu unterscheiden: In der Theorie muss alles unternommen werden, damit eine Behinderung nicht zum Ausschluss führt. In der Praxis ist es nicht so offenkundig, wie vorzugehen ist, denn jede Behinderung verlangt die Berücksichtigung der individuellen Umstände. Schliesslich wird Nichtdiskriminierung am besten gewährleistet, indem man im Einzelfall entscheidet, was gegenüber den Nichtbehinderten getan oder gefordert werden kann: Nichtdiskriminierung misst sich am Verhältnis zu den Nichtbehinderten.

Nehmen wir das Beispiel einer Schulklasse: Man kann davon ausgehen, dass Schüler einander helfen; schwieriger ist die Vorstellung, dass der Lehrer den Unterricht der ganzen Klasse den individuellen Bedürfnissen eines einzelnen behinderten Kindes anpasst. Auch kann man von einem Lehrer nicht verlangen, dass er sich systematisch die nötige Zeit für einen behinderten Schüler nimmt - zusätzlich zur Zeit, die er ohnehin jedem einzelnen Schüler widmet.

An der juristischen Fakultät der Universität Lausanne haben wir manchmal Prüfungen für sehbehinderte Studenten durchgeführt: mit besonderen Räumlichkeiten für eine schriftliche Prüfung, mit verlängerter Prüfungsdauer, mit jemandem, der die Gesetzestexte und sogar die Prüfungsfragen laut vorlas, da diese nicht in Brailleschrift zur Verfügung standen, und der allfällige praktische Fragen der Studenten beantwortete. Auch für mündliche Prüfungen musste mehr Zeit eingeplant werden, um es den sehbehinderten Studenten zu erlauben, sich mit den verschiedenen Texten vertraut zu machen. Ausgeschlossen waren gewisse Tests an der Wandtafel, vergleichende Analysen mehrerer Urteile sowie das Nachschlagen in Gesetzesbüchern. Damit war manchmal die Gleichberechtigung gegenüber anderen Studenten in Frage gestellt. Auch musste die Studiendauer mancher behinderter Studenten verlängert werden, was sich zuweilen nur schwer mit der Abfolge der unterrichteten Fächer vereinbaren liess.

Wie weit sollen und können öffentliche Bildungseinrichtungen bei der
Anpassung an aussergewöhnliche Umstände Einzelner gehen?


Ähnliche Fragen stellen sich dieses Frühjahr mit Blick auf Wahlen: Der Presse ist zu entnehmen, dass im Tessin ein Blinder in den Regierungsrat möchte. Auch in Pully, meiner Wohngemeinde, will eine blinde Gemeinderätin in die Exekutive. Ist das vernünftig? Meine Antwort ist ein entschiedenes Nein. Die Tätigkeit eines Parlamentariers ist überhaupt nicht mit der eines Regierungsmitglieds vergleichbar. Der Parlamentarier gehört einer Fraktion an und kann in dieser auf Hilfe und Unterstützung zählen, da alle Fraktionsmitglieder dieselben Texte erhalten und studieren. Anders sieht es in einer Exekutive aus, in der jedes Mitglied, auch wenn es einem Kollegium angehört, allein ein Departement führt.

Bei Treffen mit Amtskollegen und auf Reisen wäre ein blinder Exekutivpolitiker immer auf eine Begleitperson angewiesen. Um seine Arbeit ausführen zu können, würde er eine rechte Hand brauchen. Was für eine Stellung hätte diese? Und wie sähe der Umgang mit vertraulichen Dokumenten aus?

Mir bereiten solche Kandidaturen grosses Unbehagen. Wird damit nicht,
aus rein taktischen Gründen, das Mitleid der Wähler ausgenützt? Ist das
wirklich Nichtdiskriminierung?

Suzette Sandoz ist emeritierte Rechtsprofessorin in Lausanne. Von 1991 bis 1998 war sie Nationalrätin der Liberalen Partei. Übersetzung: Christoph Badertscher

Kommentar David Siems: Richtig, und aus dem gleichen Grund gehören auch Frauen wie Suzette Sandoz nicht in die Politik. Die müssen ja bekanntermassen alles herum tratschen, was im "Umgang mit vertraulichen Dokumenten" sehr problematisch ist. Sein wir mal ehrlich: Frau Sandoz wurde doch auch nur in den Nationalrat gewählt, weil die Wähler Mitleid mit ihr hatten, da sie nicht fähig ist, im Stehen zu pinkeln. Willkommen im Mittelalter.


Siehe auch: David Blunkett

1 Kommentar:

  1. Der alltägliche Beweis, dass oft gut ausgebildete "Normalos" (wie z.Bsp. die emeritierte Rechtsprofessorin Suzette Sandoz) unsere Gesellschaft effektiv behindern:

    Treffliche Kommentare!
    Vielen Dank, denn Klartext ENThindert.

    Für die SL-Gruppe GSL SH im Aufbau:
    Selbstbestimmtes Leben Schaffhausen
    Bernhard Pfaff, Schaffhausen

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